Der Nachfolger der legendären R80 G/S ist da und wir haben einen Test auf der Straße und im Gelände gemacht um herauszufinden: Ist sie wirklich eine Maxi-Enduro oder ist sie nur ein Barbike?
Es ist immer eine heikle Angelegenheit, das zu berühren, was die Geschichte der Motorradmythologie anvertraut hat. Einerseits muss man die Saiten der Emotionen berühren, andererseits ist man sich von Anfang an bewusst, dass eine gewisse Portion Unzufriedenheit und Enttäuschung in jedem Fall unvermeidlich sein wird, und schließlich muss man entscheiden, wie weit man die Technik treiben möchte, insbesondere wenn die betreffende Geschichte aus Abenteuern, Reisen, Siegen besteht – alles Dinge, die heute hohe Erwartungen wecken. Kurz gesagt: Es ist nicht einfach.
Aber BMW wollte es trotzdem versuchen und nicht wie bereits bei der Urban GS vor allem auf Optik und Komfort setzen, sondern indem man die funktionale Komponente betont. Und so wird im Jahr 2025 die legendäre R 80 G/S von 1980 in zeitgemäßer Form mit 109 PS und Technologien der neuesten Generation wiederbelebt. Wie wir bereits wissen, startet die neue BMW R12 G/S bei 17.900 € und verspricht, den Begriff der Heritage Enduro oder, wenn man so will, klassischen Enduro neu zu definieren und die Messlatte der Möglichkeiten dort höher zu legen, wo der Asphalt endet. Aber ist sie wirklich so und bewahrt sie wirklich den ursprünglichen Geist?
Design und Verarbeitungsqualität, die überzeugen
Die visuelle Wirkung ist sofort spürbar und unverkennbar: Die weiße Lackierung mit dem hellblauen und blauen Band katapultiert Sie sofort zurück ins Jahr 1980, das Geburtsjahr der Legende, aber auch des Autors. Der rote Sattel , der klar geschnittene, leicht kantige und essentielle Tank und die raffinierten Vintage-Details sprechen die Herzen der Liebhaber von Zweirad-Abenteuern direkt an. Und wenn man bedenkt, dass die G/S damals sicherlich kein sexy Motorrad war. Diese Reinkarnation ist es umso mehr. Man sieht, wie sich die Zeiten ändern. Im Vergleich zum historischen Modell wirkt das Neugeborene im Motorbereich viel präsenter (also von 800 gehen wir auf 1170) und nach hinten hin stromlinienförmiger mit einer schlanken Heckverkleidung, viel moderner und „designerischer“. Insgesamt ist die Wirkung wow, das Motorrad ist wenn auch nicht für jedermann schön, so doch zumindest sehr interessant.
Aber es ist nicht nur eine reine Stilübung. Die deutsche Bauqualität ist in jedem Detail spürbar: Von den Rahmenschweißnähten bis zur Kunststoffoberfläche zeugt alles von Solidität und Liebe zum Detail. Und wem es nicht weiß gefällt, der kann es auch in der komplett schwarzen und coolen Basis (die mir sehr gut gefällt) oder in der Farbe „Sandrover uni matt“ bestellen, die einen schönen, deckenden Sandton mit Schwarz und Rot kombiniert. Und ja, kurioserweise erinnert sie ein wenig an die Farbe, die man vor ein paar Jahren bei der Moto Guzzi V85TT gesehen hat, auch wenn die Wirkung in natura etwas anders ist und in diesem Fall überzeugender wirkt, vielleicht weil sie einfach einen hohen Baustandard zeigt und weil sie definitiv durch die schöne rote Lackierung des Rahmens aufgewertet wird.
Der gute „alte“ Boxer (der nie enttäuscht)
Das schlagende Herz – sozusagen – der R12 G/S kann nur der klassische luft-/ölgekühlte Zweizylinder-Boxermotor mit 1.170 ccm sein – der aus der R12-Reihe, um genau zu sein –, der 109 PS bei 7.000 U/min und ein maximales Drehmoment von 115 Nm bei 6.500 U/min liefert. Ein Motor, den wir gut kennen und bereits in anderen Modellen der Baureihe getestet haben, der uns in besserem Zustand erscheint denn je und der hier perfekt platziert ist. Dieses Motorrad geht von seinem Motor aus und nicht umgekehrt.
Tatsache ist, dass dieses Modell sehr an die 1150 erinnert, aber es hat nicht nur mehr Körper, sondern ist auch drehfreudiger und läuft sogar flüssiger. Mit anderen Worten, es ist derselbe Motor, aber heute nach den heutigen Kriterien gebaut.
Die Leistungsabgabe ist geradlinig und vorhersehbar, das Drehmoment großzügig, aber nie wütend, und ermöglicht es, auch bei niedrigen Drehzahlen entspannt zu fahren. Und sogar der Klang ist voll, präsent, nie aufdringlich, rhythmisch.
Der Rahmen
Der Stahlrohrrahmen folgt der Konstruktionsphilosophie von BMW und gewährleistet den richtigen Kompromiss zwischen Steifigkeit und Komfort. Außerdem sieht er in Kombination mit dem Boxer am schönsten aus. Die traditionelle, umgedrehte Teleskopgabel mit 45 mm Durchmesser und das Paralever -System hinten mit einem voll einstellbaren, direkt an der Einarmschwinge verankerten Stoßdämpfer bieten ein Setup, das wir als vielseitig bezeichnen könnten, anpassbar an unterschiedliche Einsatzbedingungen sowohl auf der Straße als auch im Gelände.
Die Möglichkeit der manuellen Einstellung garantiert einen großen Spielraum für individuelle Anpassungen, aber bereits bei der Standardeinstellung fanden wir sowohl auf Asphalt als auch auf unbefestigtem Untergrund viel Vertrauen mit einem stets optimalen Ansprechverhalten der Aufhängungen, die gut kopieren und kommunizieren.
Die Höhe über dem Boden ist großzügig, aber für eine durchschnittliche Körpergröße nicht zu hoch, und die Position der Fußrasten ist zentral und recht bequem. Der Lenker lässt sich zum Fahren im Stehen ganz einfach in die vorderste Position bringen und im Enduro Pro-Paket – das die Verwendung eines 18-Zoll-Hinterrads anstelle eines 17-Zoll-Rads beinhaltet – sind auch die Fußrasten speziell für das Fahren im Gelände ausgelegt. Die Bremsfußraste verfügt über eine praktische Federlösung, mit der sie um 90 Grad in die vertikale Position gedreht werden kann und so die Verwendung im Stehen erleichtert wird.
Elektronik und Ausrüstung
Trotz ihres klassischen und schlichten Erscheinungsbilds integriert die R12 G/S moderne, für die Sicherheit unerlässliche Technologien, ohne zu viel Aufsehen zu erregen. ABS Pro ermöglicht sicheres Bremsen auch in Kurven und lässt sich im Enduro-Modus vorne und im Enduro Pro-Modus hinten deaktivieren. Die Traktionskontrolle DTC optimiert die Traktion, lässt sich aber dank der entsprechenden Taste am linken Schalterblock bei Geländefahrten jederzeit einfach deaktivieren.
Zusätzlich zu den serienmäßigen Fahrmodi Rain, Road und Enduro ist der Modus Enduro Pro als Sonderausstattung erhältlich.
Die Standardinstrumentierung ist die klassischste der Baureihe, nämlich die runde Uhr mit Zeiger der anderen R12, aber es gibt auch Konnektivität mit der proprietären App. Sie können die farbige TFT-Instrumentierung wählen, die zwar effektiv ist, aber nicht ganz zum Geist des Motorrads passt.
Ergonomie und Komfort
Die Sitzposition ist natürlich und nie gezwungen, mit einem Sitz, der sofort entspannt. Der Sattel ist nicht weich, im Gegenteil, ermüdet aber bei Transfers nicht. Er bleibt schmal, und das ist ein Vorteil beim Fahren im Stehen, da man den Tank mit den Beinen besser greifen kann. Der breite Lenker bietet viel Hebelwirkung. Die Bodenfreiheit ist beträchtlich (ab 860 mm) und kann kleinere Fahrer einschüchtern, aber sobald sie in Bewegung ist, ist das Gewicht gut verteilt und das Motorrad ist auch bei Manövern mit niedriger Geschwindigkeit beherrschbar. Man muss jedoch bedenken, dass das Motorrad bei der Version mit dem 18-Zoll-Hinterrad noch einmal anderthalb Zentimeter ansteigt und dass die Höhe noch weiter zunimmt, wenn wir den Rally-Sattel wählen.
Wie fährt Sie?
Auf der Straße zeigt die R12 G/S einen vielseitigen und souveränen Charakter. In der Stadt fährt sie sich trotz ihrer Größe agil, die Kupplung ist leichtgängig und das Getriebe präzise und weich. Der Boxermotor bietet ein angenehmes Unterdrehmoment und ist selbst bei einer zu langen Übersetzung nie ruppig. Auf der Autobahn hält sie mühelos 130 km/h und bestätigt damit ihre Tourentauglichkeit: perfekt abgestimmt und mit der richtigen Leistung, um nicht zu schießen, aber auch nicht zu schwächeln. In Kurven ist sie ein Genuss: Sie lässt sich mühelos fahren und bietet trotz 21-Zoll-Vorderrad eine hohe Präzision. Die Originalreifen sind Karoo Street von Metzeler und somit ein guter Kompromiss, auch für unbefestigte Straßen. Mit dem Enduro Pro-Paket werden sie zu Karoo 4-Reifen.
Doch gerade im Gelände offenbart die R12 G/S ihr wahres Gesicht. Die stehende Position ist natürlich – fast besser als sitzend! –, und die ausgewogene Gewichtsverteilung und das Fahrwerk ermöglichen es, selbst anspruchsvollste Passagen souverän zu meistern. Wir sprechen hier eindeutig nicht von einer spezialisierten 450er, sondern von einer Maxi, die einen auf Entdeckungsreise mitnimmt und mit der man ohne Umbau die gesamte Autobahnfahrt in einem Zug bewältigen kann. Kurz gesagt: Sie kommt dem ersehnten und unerreichbaren Konzept eines „totalen Motorrads“ näher als dem einer fertigen Enduro. Ihre Ausgewogenheit und ihr Gesamtgefühl vermitteln jedoch das Gefühl, jeder Situation gewachsen zu sein.
Für wen ist sie gemacht?
Die R12 G/S richtet sich an alle, die eine originelle und authentische Maxi-Enduro suchen. Ein Motorrad, das Sie von den Straßen der Stadt bis auf die entlegensten Wege bringt, selbst über lange Strecken. Es ist perfekt für Nostalgiker, die an der Bar Eindruck machen wollen, sollte aber nicht nur als Barbike bezeichnet werden. Es eignet sich beispielsweise hervorragend für Abenteuertouren und erinnert dabei eher an einen jüngeren Vorgänger der R80, die HP2.
Die BMW R12 G/S meistert die schwierigste Aufgabe: Sie ist eine Hommage an die Vergangenheit, ohne ihr verhaftet zu bleiben . Sie ist ein Motorrad, das Nostalgiker gleichermaßen begeistert wie alle, die ein modernes und zuverlässiges Motorrad suchen. Sie ist keine einfache Stilübung, sondern eine echte Enduro , die uns auf jedem Abenteuer begleitet. Der Preis liegt zwar im oberen Segment, doch Verarbeitungsqualität, Markenzuverlässigkeit und Fahrspaß rechtfertigen die Investition für alle, die den Geist des Abenteuers in einem modernen Stil suchen .